Spruch des Tages:

  • Leben. Eine Zumutung! Aber muss ja.

Donnerstag, 1. Juli 2010

Spocht!

Seit gut zwei Wochen ist die Sportwut hier im Hause ausgebrochen. Also eigentlich nur bei mir und meinem Weggefährten.
Angesichts meiner fortschreitenden Senilität dachte ich, es sei angebracht, zumindest mal die Muskeln etwas zu trainieren. Gesagt, getan.
Die Freundin und ich eiern derzeit mindestens dreimal wöchentlich walkenderweise durch den Wald, bei brütender Hitze und mit Hund.
Weil das hiesige Schwimmbad wegen angeblicher Sanierungsarbeiten dieses Jahr geschlossen bleibt, ist die sommerliche Schwimmerei leider etwas eingeschränkt.
Nach einem wegen akuter Überfüllung abgebrochenen Versuch im Freibad eine Ortschaft weiter, musste ich gestern bei gefühlten 50° durch den Wald hecheln. Sowas is ungesund!!!!! Laut lamentierend und ebenso geräuschvoll schnaufend zog ich also gestern abend neben der Freundin durchs Gestrüpp, weil sie nämlich an einen dringenden "Bewegungszwang" leidet. Sprich: ich will meine Bikinifigur, auch wenn's dieses Jahr kein passendes Freibad zur Figur gibt.

Für heute habe ich die Laufrunde vorsorglich abgesagt mit der Begründung, das Schwimmbad im pittoresken Landsweiler auszuprobieren. Und was soll ich sagen: die ersten 1000 Meter in diesem Jahr sind geschafft. Wunderbar - 50 Meter Bahnen, viel Platz, keine Überfüllung, schöne Waldrandlage. Einfach perfekt, wenn's nicht so weit weg wär. Immerhin ne Viertelstunde mit dem Auto. Ich bin verwöhnt. Unser angestammtes Freibad ist schließlich direkt hier im Ort. Aber gut, es hat sich gelohnt.
Ob ich mich allerdings morgen auch noch mit der Schwimmerei rausreden kann, weiß ich nicht. Vermutlich schnaube ich doch wieder völlig dehydriert und "giemend" durch den Wald.
Was tut man nicht alles für die Freundin und deren Bikinifigur. Bei mir sind Hopfen und Malz schließlich schon verloren :-)

Miese Diagnose

Seit gut drei Wochen steht meine Diagnose MS. Unabhängig davon habe ich diese Krankheit allerdings schon seit gut 11 Jahren – kurz nach der Geburt meines Sohnes. Da bekam ich den ersten Schub und wurde seinerzeit in der Uniklinik Mainz komplett auf den Kopf gestellt. Entlassen hat man mich dann mit einem lapidaren „Es könnte MS sein, muss aber nicht. Auf jeden Fall ist es irgendwas Autoimmunes“.

Der erste Schub kam zeitgleich mit dem ersten Bandscheibenvorfall im Jahr 1998. Ich habe schon von mehreren Betroffenen gehört, dass es bei Ihnen ähnlich war: erst der Bandscheibenprolaps, dann der erste Schub. Kaum 5 Bandscheibenvorfälle und 10 Jahre später stehe ich also mit meiner frischen, alten Diagnose da und kann im Prinzip noch froh sein, dass ich so lange ohne Schub war. Wenn schon MS, dann bitte schön diese Variante. RRMS nennt man das wohl.

Warum aber nach fast 10 Jahren ein erneuter Schub? Woran liegt’s? Ein Gespräch mit einer Psychologin hat mich zumindest darauf gebracht, dass großer Stress ein Auslöser sein kann. Und den hatte ich in diesem Jahr ganz besonders. Trotzdem – Stress hatte ich schon öfter und hatte bislang keine eingeschlafenen Füße oder ähnliches zu beklagen. Und per Zufall – mitten aus dem Gespräch heraus – sind mein Mann und ich der Ursache auf die Schliche gekommen. Dank meiner dusseligen Nachfrage beim Hausarzt nach einer Polio-Auffrischungsimpfung und der darauf folgenden Spritze sind mir kaum zwei Wochen später die Füße eingeschlafen und der linke Arm fing an zu kribbeln. Damals wusste ich ja auch noch nicht, dass ich eine ED habe.

Mein Hausarzt hat mich umgehend ins Krankenhaus eingewiesen, wo man mich komplett auf links drehte. Von der verhassten Lumbalpunktion, über 4 Kernspins bis hin zu diversen neurologischen Tests war alles dabei. Nebenbei hat man noch ein paar Bandscheibenvorfälle gefunden, aber eben auch drei Plaques im Gehirn. Zur bereits vorhandenen ersten Plaque im Cervicalbereich aus den Anfangsjahren. 10 Tage später erhielt ich also meine Diagnose und konnte es nicht fassen.
Du musst sofort deine Sachen regeln, ging es mir durch den Kopf. Mach dein Testament, Pläne für das Kind und den Mann, damit alle abgesichert sind. Müssen wir über kurz oder lang umziehen? Unser Haus ist gar nicht behindertengerecht. Überall Stufen, enge Türen, kein Platz. Wie soll das mit einem Rollstuhl funktionieren? Verblöde ich? Meine schlimmste Angst, noch vor dem körperlichen Verfall, ist die, geistig komplett abzubauen. Der Gedanke, die kognitiven Fähigkeiten nach und nach zu verlieren, war und ist die Hölle.

In den ersten Tagen war ich geistig derart überfrachtet, dass ich mich auf gar nichts konzentrieren konnte. Die Arbeit war ein Kraftakt, alles war ein Kraftakt. Die Diagnose war omnipräsent und dreiviertel meines Hirns damit beschäftigt, sämtliche möglichen Szenarien und Verläufe durchzuspielen. Das letzte Viertel hat dann wohl versucht herauszufinden, was beim anderen Teil gerade los ist.

Ich bin von Anfang an sehr offen mit der Krankheit umgegangen. Meine Familie wurde direkt informiert, meine beste Freundin, meine Chefin, meine Kollegin… einfach alle mir nahestehenden Menschen. Sogar mit meinem Sohn habe ich darüber gesprochen. Ich dachte, ich müsse ihn vorwarnen, dass ich über kurz oder lang völlig verpeilt sein werde und mir nichts mehr merken kann. Zwecks Gedächtnistrainings hat er mir dann ein Gedicht zum Auswendiglernen aus seinem Schulbuch unter die Nase gehalten und mich auch Tage später noch abgefragt.

Mittlerweile funktioniert mein Kurzzeitgedächtnis wieder, die Bewältigungsarbeit ist zumindest größtenteils geschafft. Das Gespräch mit einer Psychologin hat dabei sehr geholfen. Ebenso die Gespräche mit meiner Freundin und meinem Mann. Nun heißt es, sich mit der Krankheit zu arrangieren. Von Besuchen in den diversen Internetforen habe ich nach kurzem Einblick Abstand genommen. Ich habe festgestellt, dass mir das alles zu deprimierend ist. Dort erzählt jeder, wie schlecht es ihm geht, in welch kurzer Zeit man körperlich abgebaut hat usw. Mein Weg ist ein anderer. Wie schon gesagt, rede ich mit Freunden und Familie sehr offen über Alles. Das ist für mich die beste Therapie. Und – trotz allem – eine positive Lebenseinstellung.
Natürlich ist das Alles immer noch sehr neu und allgegenwärtig, aber ich denke nicht mehr den ganzen Tag darüber nach. Ich versuche, meinen Alltag wieder in den Griff zu bekommen, treibe in Maßen Sport und habe ansonsten nicht viel an meinem Lebenswandel geändert. Meine Prognose ist relativ günstig und ich denke, mit einer zwar realistischen, aber nicht pessimistischen Lebenseinstellung kommt man ganz gut klar damit.

Auch von der angeratenen Prophylaxe habe ich zunächst Abstand genommen. Die Nebenwirkungen dieser Interferon-Therapie sind für mich nicht akzeptabel. Mit Glück habe ich nach Abklingen des aktuellen Schubs wieder einige Jahre Ruhe. Die bisherigen Restschäden halten sich sehr in Grenzen. Ein Taubheitsgefühl in den linken Fingerspitzen ist bisher alles, was mir von meinen ersten Schüben geblieben ist. Momentan kribbelt es immer mal wieder im Rumpf, in den Beinen und Füßen oder im linken Arm. Die Füße sind jedoch wieder munter, nur gelegentlich schläft noch mal ein Zeh ein oder eine Fingerspitze. Ich hoffe, dass diese Symptomatik bald völlig abklingt. Schließlich will ich endlich den Sommer genießen, ins Schwimmbad gehen, in meinem Garten wühlen und mit Freunden und Familie reichlich grillen, im Biergarten sitzen und meinem Mann und meinem Sohne auf die Nerven gehen. Die sind das so gewöhnt und könnten andernfalls auf die Idee kommen, es ginge mir nicht gut.